Valerius Maximus
Cornelia als Verkörperung moralischer Autorität und Bescheidenheit?
Abschließend soll noch ein letzter Autor in den Blick genommen werden, der Cornelia abermals in ein etwas anderes Licht rückt. Der römische Schriftsteller Valerius Maximus lebte zur Zeit des Kaisers Tiberius und widmete diesem auch sein literarisches Werk, die Facta et dicta memorabilia.[1] Hierbei handelt es sich um ein Handbuch historischer Exempla für rhetorisch-politische oder moralische Argumentation.[2] Anders als Cicero war Valerius Maximus ein Autor des frühen Prinzipats, was sich auch in seiner Beschreibung Cornelias widerspiegelt. Trotz einiger Unterschiede in der Darstellung, zählte Cicero wohl dennoch zu seinen wichtigsten Quellen.[3]
Michael von Albrecht datiert die Entstehung der Exempla-Sammlung in die Zeit zwischen 28 und 32 n. Chr., wobei er sich für das vierte Buch, das im Hinblick auf Valerius Darstellung von Cornelia das Wichtigste ist, auf die Zeit vor 29 n. Chr. festlegt.[4]
Das Werk ist in unterschiedliche thematische Rubriken eingeteilt. Das vierte Buch gilt der „Selbstbeschränkung“[5]. Durch die inhaltliche Struktur der Facta et dicta memorabilia überlässt es Valerius nicht den Lesern zu entscheiden, wie seine Darstellungen zu deuten sind – anders als bei Plutarch, der immer wieder gegensätzliche Überlieferungen unkommentiert einander gegenüberstellt. Bloomer fasst es so zusammen:
„The categories by which we are to understand the past and judge its actions and values are laid down in the chapter headings and chapter introductions.“[6]
Ferner resümiert er, dass Valerius den Institutionen und dem Verhaltenskodex der römischen Nobilität in seinem Werk den größten Raum beimesse, anders als Cicero dabei aber die republikanischen Traditionen abgelegt habe.[7]
Valerius Maximus kann angesichts dessen keinesfalls als Autor angesehen werden, der sich offen gegen das neue politische System des Prinzipats stellte. Sein literarisches Schaffen reflektiert viel eher die Phase der Konsolidierung der Alleinherrschaft und spiegelt auch eine Veränderung in den Anforderungen und Erwartungen an die Nobilität wider. In der Tat ist es auch genau dieser Unterschied zu Cicero, der die Divergenz ihrer Darstellungen Cornelias erklärt.
Während bei Cicero noch das republikanische Ideal einer Matrona hochgehalten wurde, die ihre Söhne möglichst früh auf die wichtigste Aufgabe eines Aristokraten vorbereiten sollte – das Halten beeindruckender und überzeugender Reden – lobt Valerius Maximus Cornelia als herausragendes Beispiel einer Matrona nach den Idealen der frühen Kaiserzeit: „That children are a matron's best jewellery we find as follows in Pomponius Rufus, Book of his ‚Miscellanies‘: Cornelia, mother of the Gracchi, had a Campanian matron as a guest in her house, who showed her jewellery, the finest in existence at that period. Cornelia kept her in talk until her children came home from school, and then said, ‚These are my jewels.‘“[8]
Die gesamte Szene, die Valerius hier schildert und auf die Überlieferung eines gewissen Pomponius Rufus zurückführt, spielt sich im häuslichen Umfeld ab. Cornelia empfängt eine befreundete Matrona, während die Kinder Tiberius und Gaius in der Schule sind. Beide Frauen stellen zwei Gegensätze dar: Die kampanische Matrona verkörpert durch ihren offen vorgetragenen Stolz auf ihren Schmuck Eigenschaften wie Überdruss und Materialismus, während Cornelia als sanftmütige und genügsame Mutter dargestellt wird, deren größter Schmuck und Stolz ihre Kinder seien.
Auffällig ist, dass Valerius Cornelia nicht mit der Ausbildung ihrer Kinder verknüpft, wie Cicero es immer wieder getan hat. Eine Beteiligung an politischen Entscheidungen, wie sie Plutarch zur Disposition stellt, findet sich bei Valerius schon gar nicht – ganz im Gegenteil: Cornelia wird in räumlicher Trennung sowohl von der öffentlichen Sphäre aber auch von der Ausbildung ihrer Kinder dargestellt.
Nach von Albrecht war Valerius Maximus ein Moralist. Er habe danach gestrebt „die Tugenden und Laster der Menschen [zu] beschreiben und [zu] deuten.“[9] Wer in der zitierten Textstelle welche Rolle einnimmt, liegt auf der Hand: Die kampanische Matrona verkörpert die Laster seiner Zeit, während Cornelia den tugendhaften Gegenentwurf darstellt.
Eine weitere Textstelle aus dem sechsten Buch seiner Facta et dicta memorabilia bekräftigt seine Idealisierung der sittsamen und häuslichen Matrona. Zwar tritt hier nicht Cornelia auf, jedoch ihre Mutter, die ihrem Ehemann, dem älteren Scipio, einen begangenen Ehebruch mit einer Sklavin nicht nur verziehen, sondern die Sklavin noch dazu, nach dem Tod ihres Ehemannes, freigelassen habe. So habe sie geleugnet von dem Ehebruch gewusst zu haben, damit Scipio nicht Gefahr laufe, sein ruhmvolles Ansehen zu beschmutzen.[10]
Die Darstellung von Cornelia bei Valerius Maximus stimmt zusammenfassend am ehesten mit dem Bild überein, das sich bis heute von ihr erhalten hat – dem Mythos einer tugendhaften, häuslichen und familiären Ehefrau.
[1] Rüpke 2002, Sp. 1116.
[2] Ebd.
[3] von Albrecht 2012, 909.
[4] Ebd., 908.
[5] Ebd.
[6] Bloomer 1992, 11.
[7] Ebd.
[8] Val. Max. 4,4: „Maxima omamenta esse matronis liberos apud Pomponium Rufum collectorum libro <...> sic invenimus: Cornelia Gracchorum mater, cum Campana matrona apud illam hospita omamenta sua, pulcherrima illius saeculi, ostenderet, traxit earn sermone dum e schola redirent liberi, et ‚haec‘ inquit ‚omamenta sunt mea.‘“ (übers. v. D. R. Shackleton Bailey).
[9] von Albrecht 2012, 911.
[10] Val. Max. 6,7,1.