
Cornelia Africana
Tugendhafte Matrona oder literarische Konstruktion?
Abb. 1: „Cornelia, Mutter der Gracchen“, Gemälde von A. Kauffmann, 1785.
Biographische Hinführung:
Cornelia Africana, bereits in der Antike auch bekannt als „[…] Mutter der Gracchen“[1], war die jüngere Tochter des Publius Cornelius Scipio Africanus sowie von Aemilia Tertia und wurde um 190 v. Chr. geboren.[2] Sie war somit nicht nur die Tochter des älteren Scipio Africanus, der 202 v. Chr. Hannibal in der Schlacht von Zama besiegt hatte,[3] sondern zudem auch mit Tiberius Sempronius Gracchus verheiratet, der wie ihr Vater Konsul gewesen war und dieses Amt in den Jahren 177 sowie 163 v. Chr. bekleidet hatte.[4] Damit gehörte Cornelia zweifelsfrei den höchsten Kreisen der römischen Gesellschaft an. Allerdings weisen Leonhard Burckhardt und Jürgen von Ungern-Sternberg trotz Cornelias enger verwandtschaftlicher Verbindungen in höchste aristokratische Kreise zu Recht darauf hin, dass dieser Umstand allein nicht erklärt, weshalb sie – anders als zahlreiche andere Frauen der römischen Oberschicht – mehr hinterließ als ihren „bloße[n] Name[n]“[5].
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Ungeachtet ihrer zentralen Stellung in der römischen Geschichtsschreibung der späten Republik sowie der frühen Kaiserzeit fällt es schwer, ihren biographischen Werdegang zweifelsfrei nachzuvollziehen – viele scheinbare Tatsachen bleiben umstritten.[6]
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Ein Beispiel hierfür ist die Frage, wie viele Kinder aus ihrer Ehe mit Tiberius Sempronius Gracchus tatsächlich hervorgingen. Gemäß Plutarch waren es zwölf Kinder, die Cornelia nach dem Tod ihres Ehemannes allein großziehen musste.[7] Allerdings sollen nur drei dieser Kinder das Erwachsenenalter erreicht haben: Ihre Tochter Sempronia, die später Publius Cornelius Scipio Aemilianus[8] heiratete, sowie ihre Söhne Tiberius und Gaius Gracchus, die ihr den Beinamen ‚Mutter der Gracchen‘ einbrachten.[9]
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Für alle neun übrigen Kinder fehlen selbst grundsätzliche Anhaltspunkte, die ihre Existenz zweifelsfrei belegen könnten. Weder ihre Geburts-, Heirats- noch Sterbedaten sind überliefert, sodass die Frage nach der Anzahl ihrer Kinder nicht gänzlich zu beantworten ist.[10]
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Zugleich gilt es zu bedenken, dass eine hohe Anzahl an Kindern, verknüpft mit der Darstellung einer idealen Matrona, die ihr gesamtes Leben aufopferungsvoll, tugendhaft und pflichtbewusst der Erziehung ihrer Kinder widmet, ein weibliches Rollenverständnis widerspiegelt, mit dem Cornelia in der römischen Literatur immer wieder verknüpft wurde.
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Insofern lässt sich anhand der Frage nach der tatsächlichen Anzahl ihrer Kinder ebenso eine übergeordnete Frage erkennen, die Gegenstand dieser Arbeit sein soll:
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Inwiefern spiegelt die antike literarische Darstellung Cornelias in der Spätphase der Republik sowie in der Frühphase des Prinzipats eine moralische Konstruktion der Rolle der Frau wider,
und in welchem Maße weicht diese Darstellung von Cornelias tatsächlichem Rollenverständnis als Frau in der römischen Gesellschaft ab?
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Um diese Frage(n) zu bearbeiten, sollen in Form einer vergleichenden Quellenkritik die Darstellungen verschiedener antike Autoren untersucht werden – darunter der bereits zitierte Plutarch aber auch Cicero sowie Valerius Maximus, die sich in ihren Werken ebenso Cornelia widmen. Auf dieser Grundlage sollen sowohl Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in den Darstellungen herausgearbeitet und kritisch eingeordnet werden. Abschließend wird auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse ein Fazit gezogen.​​
[1] AE 2004 196 = AE 2014 577 = CIL VI 10043 = CIL VI 31610: „Opus Tisicratis || Cornelia Africani f. | Gracchorum (mater).“ (Inschrift einer Bronzestatue Cornelias, die sich ursprünglich einmal im Porticus Metelli (bzw. dem späteren Porticus Octaviae) in Rom befunden haben soll. Einzig der Sockel ist in Teilen erhalten und befindet sich heute im Besitz der Museen auf dem Kapitol).
[2] Stegmann 1997, Sp. 166.
[3] Elvers 1997a, Sp. 182.
[4] Burckhardt/von Ungern-Sternberg 1994, 97.
[5] Ebd.
[6] Dixon 2007, 01.
[7] Plut. Tib. Gracch. 1,2.
[8] Oft schlicht Scipio der Jüngere oder Africanus Minor genannt; bekannt für die Zerstörung Karthagos. Hierzu siehe auch: Elvers 1997b, Sp. 178-182.
[9] Plut. Tib. Gracch, 1,2.
[10] Dixon 2007, 02.